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Von Gerhard Steinmeyer (verfaßt 1999, ergänzt 2007)
Die Thalmühle in Ederheim (heute Kreis
Donau-Ries) im
Nördlinger Ries war nur wenige Jahre – 1862 bis 1874 –
mit der Familie Rehlen verbunden, blieb aber im Gedächtnis der Familie.
Die Thalmühle verdankt ihre Entstehung dem
Retzenbach, der wenige Schritte taleinwärts aus einer
Karstquelle der
Schwäbischen Alb in der Waldabteilung "Hölle"
entspringt. Der Retzenbach fließt durch das Grundstück der
Thalmühle über den Forellenbach und die
Eger zur
Wörnitz. Die Thalmühle liegt an einer
Stichstraße nahe der alten Fernhandelsstraße Nürnberg
– Ulm, heute Bundesstraße 466, und nahe der Grenze des
Bundeslandes Bayern zum Bundesland Baden-Württemberg. Diese
Grenze war nach einer willkürlichen Grenzziehung auf Befehl
Napoleons schon zu Rehlen's Zeiten keine Zollgrenze mehr, wie bis
1828.
Die Thalmühle war eine Getreide- und Ölmühle, dann eine
Lodenwalke, sie ist 1828 abgebrannt und anschließend neu
erbaut worden. Der Nördlinger Kaufmann Georg Beyschlag richtete
1847 dort eine Spinnerei ein (1).
Karl Rehlen (1833-1874), ein geborener Nördlinger, nannte sich bei seiner Eheschließung 1862 mit Pauline Engel (1831-1879) Fabrikbesitzer. Daher ist anzunehmen, dass er bereits die Thalmühle besaß und den Versuch seines Vorgängers, eine industrielle Fertigung aufzubauen, fortführte. Karl Rehlen erweitete die Thalmühle 1865 durch einen Dampfantrieb (1). Verarbeitet wurde Baumwolle, die importiert werden musste, vielleicht auch einheimische Wolle und Flachs. Welcher Art die aufgestellten Spinnmaschinen und deren Anzahl waren, ist nicht mehr bekannt.
Die Gebäude sind noch weitgehend erhalten. Sie sind größer als die einer Dorfmühle im Ries, aber bescheiden gegenüber den Fabrikbauten aus dieser Zeit in den Textilzentren Chemnitz, Augsburg und Hof.
Das Ehepaar Rehlen hatte drei Töchter und einen Sohn, die
1863, 1865, 1866, 1868 in der Thalmühle geboren wurden und dort
aufwuchsen. Der Familienerinnerung nach wurden die Kinder im eiskalten
Retzenbach gebadet. Karl Rehlen betrieb die Spinnerei, bis er sich
– wie sich die Familie erinnert – beim Heben eines
Wollballens verletzte und 1874 daran starb. Die Witwe zog mit ihren
Kindern, die zwischen 11 und 6 Jahre alt waren, nach Nördlingen und verkaufte
anscheinend bald die Thalmühle. Auch sie starb schon 1879 und
wurde in dem Familiengrab in Nördlingen beigesetzt (2). Der Grabstein,
allerdings 1935 ersetzt, war aus dem Jura-Kalkstein, wie er bei der
Thalmühle vorkommt.
Es mag heute überraschen, dass Karl Rehlen aus einer Nördlinger Handwerker- und Kaufmannsfamilie Fabrikbesitzer wurde. Es war das Zeitalter der Industrialisierung, die Basis war einerseits Nördlingen als traditionsreicher Standort der Textilherstellung und andererseits die Wasserkraft der Thalmühle. Die Stadt Nördlingen blieb für die Familie Rehlen der Mittelpunkt.
Mit Karl Rehlen war schon die dritte Generation der Gründer und Neuerer am Werk. Großvater Johann Michael Rehlen (1770-1847), Strumpfstricker, und wohl vor allem Großmutter Rosine geb. Döderlein (1770-1845) waren durch Fleiß und Sparsamkeit vermögende Leute geworden und haben wohl die Fabrikgründungen ihrer Söhne und Enkel ermöglicht (3). Karl Rehlens Vater, Georg Adam Rehlen (1798-1873), Seiler, bekannt als der G. A. Rehlen, war ein vielseitiger Kaufmann (4).
Die "Fabriken" in Nördlingen und die Thalmühle waren eigentlich Manufakturen und haben die Zeiten nicht überstanden. Nach hoffnungsvollen Ansätzen ist die Industrialisierung an Nördlingen weitgehend vorbeigegangen. Nördlingen ist nur halbherzig in die Moderne geschlüpft, wie der Nördlinger Stadtarchivar 2007 in seinem Vortrag "Die Landstadt Nördlingen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" (5) feststellt.
Unter dem neuen Besitzer nach Rehlen ging die Spinnerei 1889 ein, es folgte der Zimmermeister Angermeyer, der die Thalmühle in eine "Schneidmühle" (Sägewerk) umwandelte (1). Bei dieser Bestimmung blieb die Thalmühle, wie auch ein Foto von 1942 zeigt, bis nach dem Zweiten Weltkrieg (6).
Ein einschneidendes Ereignis für die Thalmühle war der
Bau der Wasserversorgung der Stadt Nördlingen, die 1896
eingeweiht wurde. Dazu wurden zwei Quellen am Fuße des
Thalberges und Quellen in den "Höllwiesen" gefasst,
alle talaufwärts zur Thalmühle, und in einer Wasserleitung
mit natürlichem Gefälle nach Nördlingen geleitet. Es
ist zu vermuten, daß der Thalmühle damit Wasser abgegraben
wurde. Mindestens seit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist die
Thalmühle eine Gaststätte im Besitz der Nördlinger
Ankerbrauerei, besonders
beliebt und bekannt war sie in der Vor-Auto-Zeit als
sonntägliches Ausflugsziel der Nördlinger Familien,
natürlich zu Fuß (6).
Hinweise:
(1) | Georg Monninger: "Das Ries und seine Umgebung" – Nördlingen 1893, Nachdruck Nördlingen 1984 |
(2) | Friedhof Nördlingen, Abt. 4 Reihe 2 |
(3) | Familienzeitschrift Die Rehlen-Sippe Nr. 8 (11.1960): "Der Strumpfstricker Johann Michael Rehlen, sein Leben und seine Zeit" |
(4) | Familienzeitschrift Die Rehlen-Sippe Nr. 7 (06.1960): "Georg Adam Rehlen und Regine Barbara Rollwagen" |
(5) | ![]() |
(6) | G. A. Zipperer: Goscht mit? – Nördlingen, 1954 |