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Home Bombenangriffe in Kiel (Jan. 1944) Vorbemerkung 5.1.1944: Zerstörungen in der Universität
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 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Bombenangriffe in Kiel (Jan. 1944)

4.1.1944: Ein Bombenangriff und seine Folgen

Angriff auf Kiel, vormittags, etwa 11-13 Uhr. Ich hatte ein heißes Bad genommen und lag zum "Nachschwitzen" im Bett, da ertönten die Sirenen. Die Badewanne enthielt noch das warme Wasser, um es noch zur Erwärmung des Raumes zu verwenden. Ich nahm mir keine Zeit mehr, es ablaufen zu lassen, sondern ließ gleich frisches Wasser drauf laufen, um möglichst viel Löschwasser zu haben (für gewöhnlich ist die Wanne stets gefüllt). So kam es, daß wir nach diesem Angriff mehr Wassermangel als sonst hatten. Ich ließ aber in der Küche noch einige Töpfe vollaufen.

Dann kam Käthe in Eile nach Hause, in der Karlstraße hatte sie der Alarm überrascht, und ging mit Lore und Ursel in den Bunker, das stets griffbereite Gepäck mitnehmend. Diesmal kam der Angriff sehr bald nach dem Alarm. Ich hatte gerade noch Zeit, die meisten Fenster zu öffnen, da ging es schon los. Übrigens wird jetzt nicht mehr so viel geschossen, wie vor einem oder zwei Jahren, es scheint schon an Geschützen zu fehlen. Ich sauste gleich bei den ersten Schüssen hinunter, und da fielen auch schon die Bomben. Ich hatte sehr Sorge, ob Käthe und die Kinder den Bunker noch erreicht hatten; denn dort stehen oft Hunderte in langer Schlange an, bis in die Reventlou-Allee hinaus, weil das Hineinkommen so langsam vor sich geht. Wenn da einmal Bomben auf die Wartenden fallen! So soll es am 14.5.43 bei dem Bunker östlich des Schlachthofes gewesen sein, weil niemand zum Aufschließen da war. Ich konnte nie etwas Sicheres erfahren, was dort passiert ist, aber erzählt wurde es immer wieder. Während des ganzen Angriffes lag diese Sorge auf mir.

Ich stand hart neben dem Kellereingang, aber durch die Mauer gegen die Wirkungen einer draußen niedergehenden Bombe gedeckt, soweit eben die Mauer selbst hielt. Diesen Platz habe ich meistens gewählt, weil ich glaubte, im Fall des Einstürzens des Kellers selbst mit einem Sprung noch den schmalen Gang vor dem Keller erreichen zu können. Ich fühlte mich in dem elenden Kellerraum mit den vielen Heizungs- und Wasserleitungsrohren über dem Kopf und den schlechten Stützbalken, die man mit der Hand verschieben konnte, sehr unbehaglich. Zwischen unserem Aufenthaltsraum und der Vorderseite des Hauses lag der Heizraum mit kleinen Fenstern zum Vorgarten hinaus. Früher war der Heizraum durch eine kompakte eiserne Tür verschlossen. Diese hatte durch eine "gasdichte" Tür ersetzt werden müssen, die nichts weiter als ein imprägnierter Pappdeckelrahmen war, ringsherum mit einer Litze aus gummiähnlichem Stoff abgedichtet. Wir hatten uns seinerzeit vergebens gegen die Herausnahme der eisernen Tür gewehrt.

Wenn nun eine Bombe vor das Haus fällt, wird vom Heizraum her diese Türe einfach zu uns hereingeblasen samt Steinen und Splittern und Schutt. Deswegen hielt ich mich nie in der Mitte des Raumes auf. Nun hätte ich mich noch nach hinten (Richtung Nachbarhaus) in unser Kellerabteil begeben können. Gegen eine Explosion wäre man dort vielleicht am sichersten gewesen, aber man wäre im Fall des Einsturzes des Mittelraumes nicht mehr herausgekommen. In früheren Jahren ließ ich die Kinder da hinten schlafen. Damals dauerten die Alarme stundenlang und es war noch nichts in unserer Gegend passiert. Zwar hatte L.'s Keller ein Fenster in den Hof hinaus, aber das war ebenfalls auf behördliche Anordnung bis auf eine Lücke von 10 cm im Quadrat vermauert worden. Man hatte uns gesagt, daß man diese Vermauerung mit den Händen nach außen herausstoßen könnte (damals war der Schutz gegen von außen eindringendes Giftgas der Hauptgesichtspunkt), aber das war nicht wahr; ich habe es einmal ausprobiert und mit Hilfe einer eisernen Stoßstange aus dem Heizraum nur mit Mühe einen Stein gelockert. Da wären wir im Ernstfall, wo doch sicher unter den Hausbewohnern eine Panik ausgebrochen wäre, kaum herausgekommen. Und der Hausmeister hütet seine Werkzeuge eifersüchtig, sie sind in seiner Werkstatt neben unserem Schutzraum verschlossen und wenn er nicht da ist, uns überhaupt nicht zugänglich. Nicht einmal die Axt steht zu freier Verfügung. Da im Fall eines Bombentreffers sofort die elektrische Beleuchtung versagt, würden wir wahrscheinlich gar kein Werkzeug finden. Übrigens ist bis jetzt fast jedesmal das Licht beim ersten Bombenfall ausgegangen, auch wenn in der Nachbarschaft gar nichts niedergegangen ist. Mit dem Wasser ist es ebenso.

Also ich stand neben der vorderen "Gasschleuse" an die Mauer gedrückt. Das Pfeifen und Detonieren der Bomben ging mir heute sehr auf die Nerven. Die Kellermauern knisterten und wankten. Ich hatte Herzklopfen. Jeden Moment war ich auf den Einsturz gefaßt. Deutlich hörte man das Surren und Einschlagen der Brandbomben in der Nähe. Das Brummen der Flugzeuge wollte diesmal gar nicht mehr aufhören. Manchmal schienen sie viele Minuten lang im Kreis über uns herumzufliegen (was in Wirklichkeit wohl nicht der Fall war), ehe wieder neue Bomben niedergingen. Von einem Schießen unserer Flak hörte ich nichts mehr. Es macht den Eindruck, als würden stets von der ersten Welle zunächst die Abwehrstellungen außer Gefecht gesetzt. Oder es ist überhaupt so gut wie nichts da. Ich konnte nie etwas Sicheres darüber erfahren. Einmal hieß es wochenlang, in einem Vorgarten am Niemannsweg liege noch ein Stück der Tragfläche eines abgeschossenen Bombers. Das behaupteten sogar Kollegen und andere sogenannte verständige Männer. Ich hab mir das Ding genau angesehen und kann jeden Eid drauf leisten, daß es ein Stück heruntergefetztes und verbogenes Blechdach war!

Diesmal war's nicht so, daß ich alle paar Minuten den Kopf zur unteren Haustüre hinaus steckte. Als zum ersten Mal etwas Ruhe eintrat, suchte ich das Haus ab. Fensterschaden ja, wir hatten das Prasseln des Glases gehört, aber sonst Gott sei Dank nichts. So was wie beschädigte Türrahmen und abgerissene Verdunklungen zählt nicht. Wir hatten weniger Fensterschaden als die unteren Stockwerke. In einigen Zimmern waren die Oberlichter, die man nicht öffnen konnte, herausgefallen. Die äußere Balkontür im Schlafzimmer war aus den Angeln gerissen. Ich hatte, um den beiden Flügeln der Tür etwas Spielraum zu verschaffen, den Verschluß nur locker befestigt, sodaß die Flügel zwar einige Zentimeter auseinander klafften, aber sich nicht weiter öffnen konnten. Das hatte vielleicht die Scheiben vor Beschädigung bewahrt, da die Türflügel dem Luftstoß etwas nachgeben konnten, aber für die schon angerosteten Türangeln war er doch zu stark gewesen. Vielleicht kann man's auch anders erklären.

Die Glasveranda auf diesem Balkon, die früher einmal völlig zertrümmert worden war, hatte merkwürdigerweise nicht gelitten, abgesehen von ein paar Löchern durch aus der Luft herunterkommende Steine.

Aber wie sah es anderswo aus!

Nach der Entwarnung (vielleicht auch schon vorher, als Ruhe eingetreten war) und nachdem ich erfahren hatte, daß meiner Familie nichts passiert war (es dauerte immer ziemlich lange, bis sich der Bunker entleert hatte), ging ich zunächst nach der Ecke Reventlou-Allee/Niemannsweg, wo es brannte. Das Haus am Niemannsweg neben D., eine ältere Villa, hatte einen Volltreffer erhalten. Die Rückseite zertrümmert, kein Dach mehr da, von vorne sah man, als ich ankam, oben auf den Mauern des 1. Stockes ein kleines Feuer flackern. (Das war aber nicht der von der Hohenbergstraße aus auffällige Brand.) Ich hatte den Eindruck, daß sich das, wenn man nur hinaufkäme, mit ein paar Eimern Wasser löschen lassen mußte. Aber das Feuer wuchs zusehends und bald stand das ganze Stockwerk in Flammen. Innen versuchten einige Leute zu löschen, ich reihte mich in die Eimerkette ein, die das Wasser aus einem gegenüberliegenden Garten herbeibeförderte. Dazwischen trugen die Bewohner aus dem Erdgeschoß wahllos ihre Sachen heraus, mußten sie über einen Schutthügel vor der Hausfront herunterlassen und stapelten alles im Vorgarten auf. Ich half selbst einen Schreibtisch herausschleppen. Welcher Unsinn, so dachte ich mir dabei, erst sollte man doch alles Kleine bergen und die großen Möbelstücke zuletzt. Eine Frau kletterte mit einem Paar Schuhe in der Hand aus dem zertrümmerten Hausflur. Da standen Teile von Bettstellen, Tische, kleine Ziermöbel, noch mit Nippsachen bedeckt, und sonst unnötiges Zeug neben Haufen von Betten und Küchengeschirr. Im großen und ganzen haben die Leute doch eine ganze Masse ihrer Habe geborgen.

Die meisten der Außenstehenden waren untätige Zuschauer. Ich rief nach Eimern, worauf einige der Zuschauer so taten, als gingen sie nach Hause, um welche zu holen. Damals hat schon niemand mehr einen Eimer hergeliehen, weil er wenig Aussicht hatte, ihn wiederzusehen. Ohnehin war das Wasser nach einer Viertelstunde verbraucht, von Leitungswasser keine Rede, und die Nachbarn hielten sicher ihren Wasservorrat für den eigenen Bedarf zurück. Ich hätte das auch getan, denn eine Ergänzung des Wasservorrates war nach den bisherigen Erfahrungen für eine ganze Reihe von Tagen nicht möglich und wer weiß, ob man nicht schon am nächsten Tag in der eigenen Wohnung löschen mußte. Ich ging nach Hause und zog den alten Motorradüberanzug und derbe Schuhe an, um besser zum Helfen ausgerüstet zu sein. Erst jetzt sah ich die Meinen. Ein hastiges Mittagessen, dann wieder zu dieser Schadensstelle hin. Der SA-Standartenführer in seiner blitzblanken Uniform spazierte immer noch herum, ohne eine Hand zur Hilfe zu rühren. Aber das konnte ich schon immer beobachten: Alles, was eine "höhere" Uniform trägt, denkt nicht daran, zuzugreifen. Auch nachmittags bei P. stand so ein feiner Marineschnösel eine halbe Stunde lang da und schaute zu, wie wir Wasser trugen und löschten. Als ich ihn aufforderte, mitzutun, erklärte er, er müsse achtgeben, ob das Feuer auf sein benachbartes Haus übergreifen würde.

An dem Haus, zu dem ich zurückgekehrt war, war nichts mehr zu retten. Von den schweren Schäden in unserer nächsten Nachbarschaft wußte ich noch gar nichts. Ich ging den Niemannsweg abwärts, ohne die Verwüstungen in der Lornssenstrasse und überhaupt weiter nach Westen hin zu bemerken. Erst nach und nach merkt man, was alles passiert ist. Ich kam an dem Garteneingang vorbei und ahnte nicht, daß 50 m dahinter das kleine Haus von Studienrat K. ein plattgedrückter Trümmerhaufen war. Ich will jetzt nur das erwähnen, was ich auf dem ersten Rundgang sah.

Rings um die Kirche, keine 100 m von unserem Haus, waren riesige Trichter in dem Sandboden, bis dicht an die Grundmauern der Kirche heran. Die Kirche selbst war nicht getroffen, aber von außen entsprechend zugerichtet. Das kleine hinten (also gegen die Hohenbergstraße zu) angebaute Küsterhaus war völlig zusammengeschlagen. Ich habe nachmittags mit Ursel den Platz um die Kirche überquert. Die Häuser an der uns gegenüberliegenden Seite der Hohenbergstraße, welche rückwärts direkt an den Kirchplatz angrenzen, waren zwar "durchgeblasen", aber weniger beschädigt als man bei dieser Nähe der Einschläge erwarten sollte. Der weiche Sandboden fängt offenbar den größten Teil der Wirkung auf. Wäre der Platz gepflastert, so würden die Häuser ganz anders aussehen. Ich suchte R.'s auf, Robert S. war gerade auf Urlaub da. Es sah nicht so schlimm in ihrer Wohnung aus, obwohl die Entfernung zu den nächsten Trichtern keine 15 m beträgt. Das Kirchengelände liegt übrigens auch einige Meter höher als die Hohenbergstraße.

Ein Haus in der Kirchenstraße, das übernächste von dem im Frühjahr zerstörten, ist ein einziger wirrer Trümmerhaufen. Es wurde durch eine an eine Hauskante auftreffende Bombe einfach umgeworfen, an einer Ecke steht noch Mauerwerk und man sieht die Tür, durch die sich die Bewohner wie durch ein Wunder aus dem Keller ins Freie retten konnten. Nur eine Frau, die gerade noch einen Koffer aus ihrer Wohnung herunterholen wollte, ist getötet. Bei P. gingen Bomben in den Garten und machten tiefe Trichter. Man glaubt kaum, daß sein kleines Haus daneben noch steht. Die Trichter den Niemannsweg entlang sind wahre Museumsstücke. An Studienrat K.'s Haus kam ich um 17 Uhr mit Ursel hin, die Bombe ging dahinter in den Garten, das Haus ist so zusammengequetscht, daß das Dach 1 m über der Erde liegt. Frau K. stand davor und weinte, die kleine Gudula, Ursels Freundin, war ziemlich vergnügt.

Die Lornssenstraße ist furchtbar zugerichtet. Weiter nach Westen brannte es noch Abends. Vom Klaus-Groth-Platz ging ich den Schwanenweg hinein. Die Häuser links nach dem Anschar-Krankenhaus standen in hellen Flammen, als letztes das Historische Seminar, in dem Park gelegen, oberhalb dessen sich P.'s Gärtnereigrundstück befindet. Hier war die erste Stelle, wo gelöscht wurde. Eine Motorspritze, vielleicht die der Universität, war in Betrieb (aber nicht lange). Obwohl ein Blinder sehen konnte, daß nichts mehr zu retten war, denn sämtliche Zimmer des Erdgeschosses standen in voller Glut, spritzte man gerade zur Haustür hinein. Prof. ... war da, einen Luftschutzhelm auf dem Kopf, sonst piekfein, er hat sicher nirgendwo hingelangt. Aber auch andere Kollegen habe ich an diesem Nachmittag getroffen, an deren tadellosen Anzügen kein Stäubchen war. Die kleinen Stallgebäude oberhalb standen in Flammen, sodaß das P.'sche Wohnhaus mit kaum 3 m Abstand sehr gefährdet war. Zum Glück war der Wind günstig und in P.'s Gewächshaus das Wasserbassin gefüllt. Ich versuchte die Leute an der Spritze zu bewegen, lieber das Haus oben zu schützen, aber die spritzten stur in das Flammenmeer weiter. Bald darauf hatten sie kein Wasser mehr (woher sie es überhaupt gehabt hatten, weiß ich nicht). Ich fand in dem trümmer- und glasübersätem Gewächshaus eine Anzahl der schönsten Gießkannen (bei diesem Eimermangel in Kiel ein erstaunlicher Anblick), hatte noch Gewissensbisse, daß ich bei dem Füllen und Hantieren kleine Pflanzentöpfe herunterstieß und sonst manches beiseiteschleuderte, aber nun ließ sich die kleine Luftschutzhandspritze P.'s verwenden, um das Dach und die gefährdete Hausseite naß zu machen. Bald griffen noch zwei oder drei Leute zu und ich buche es als meinen Erfolg, daß damals das Haus gesichert wurde. Der alte P. stand hilflos herum. Und ich wunderte mich, daß sich die Leute über mein Zugreifen wunderten. P. hat sich noch öfters sehr bedankt, und ich merkte aus der Tonart immer, daß er sich über diese Hilfe eines Fremden fast etwas geniert hat.

Jetzt erfuhr ich, daß das Universitätsgebäude schwer getroffen sei. Ich ging mit Ursel, die noch bei mir war, hin. Zwei bis drei Sprengbomben waren in den hinteren Teil des Gebäudes gegangen. Die Mitte der Rückseite ist eingestürzt, der hintere Eingang und das hintere Treppenhaus völlig zerstört, der Zeichensaal schaut in die Luft. Vor meinem Amtszimmer im Erdgeschoß ist die Wand zum östlichen Hof eingestürzt, und auch die Decke herabgestürzt, sodaß man in die NO-Ecke des 1. Stockes, also ins Geographische Institut, gar keinen Zugang mehr hatte. (Das hat später allerhand "Erstbesteigungen" gegeben.) Auf dem Gang vor meinem Zimmer liegt ein großer Schutthaufen (den ich später immer überklettern mußte) und von oben hängt noch viel Einsturzdrohendes herab. Die hintere Hälfte der Universität ist nicht mehr aufzubauen, so schwere Risse sind in den Wänden. Betritt man das Gebäude durch den vorderen Eingang, so staunt man über die Türschaden. Im ganzen Haus sind die Türen und Fensterrahmen herausgehauen!

Die langen Gänge entlang liegt eine Tür nach der andern völlig zertrümmert oder fehlt überhaupt, wenn sie zu weit weggeschleudert wurde. Das hat auch mit der Luftdruck jener Bomben bewirkt, die direkt neben und vor dem Gebäude niedergingen, insbesondere in die Allee des Schloßgartens. Da sind große Bäume abgerissen und zersplittert und in den Trichtern beginnt sich Wasser anzusammeln. Auch neben der Seeburg und weiter hinauf hat es eingeschlagen, die Düsternbroker Allee ist unpassierbar. Zwei Meter neben der Augenklinik ein Trichter, zwischen Frauenklinik und der schwer getroffenen Kunsthalle ein einziges Trümmerfeld wie ein Karwendelkar.

Nochmals zum Universitätsgebäude: Also auch in den vorderen Räumen keine Türen und keine Fensterrahmen, Schränke und Tische wild durcheinandergeworfen, alles mit Akten und Büchern besät und mit Schutt und Staub bedeckt, von den Decken und Wänden der Verputz weghängend, sowas nennt man "durchgeblasen", ich hätte vorhin dieses Wort für die Unordnung in den gegenüberliegenden Häusern der Hohenbergstraße noch gar nicht verwenden dürfen. Immerhin ist sowas nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht, und es wäre gewiß aufzuräumen, aber wer macht heutzutage Fensterrahmen und Türen? (Nachtrag 1948: Für den Fall, daß ich keine Aufzeichnungen darüber habe, erwähne ich, daß es viele Wochen dauerte, bis überhaupt Glaser kamen. Nur die Amtsräume im Erdgeschoß, wenige Hörsäle und die Wohnungen im Kellergeschoß wurden nach und nach instandgesetzt. Aber dann brannte alles ab.)

Ich ging nach diesem Rundgang mit Ursel nach Hause. Käthe und Lore hatten die Wohnung vom gröbsten Schmutz gereinigt und an die zerbrochenen Fenster Pappdeckel angenagelt. Dann gab es ein herrliches Abendessen: Das Stück der Gans aus T., das für E. bestimmt war. Zum Abschicken wird ja so bald keine Möglichkeit bestehen.

Wenn ich schätze, daß die Zahl der Sprengbomben allein in unserer Gegend (Hohenbergstraße, Niemannsweg, Klinikviertel, Universität) über hundert beträgt, so ist das wahrscheinlich zu wenig.

Im Hintergarten von Nr. 24, zwei Häuser von uns (wo Prof. B. wohnt), liegt etwas, was ein Phosphorkanister sein soll: einen halben Meter tief ist das Loch in der harten Erde, aus dem der zerdrückte Bombenkörper herausragt. Der Hinterteil mit dem Steuerungsflügel liegt abgerissen daneben. In dem Loch steht eine trüb-ölige Flüssigkeit, die offenbar nicht ins Brennen gekommen ist. Ich habe mehrere solcher Löcher, auch größere, mit derartigen Resten gesehen. Nachmittags kam ich an einem vorbei, in dem es noch brannte; es war knapp einen Meter tief. Sicher war es keine angeschlagene Gasleitung, wie ich auch schon manche brennen sah.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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