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Home Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944) 31.7.1944: Über Dachplattendiebstähle und Schmutz im Haus 2.8.1944: Abseilen der Möbel, Fund des letzten vermißten Brockhausbandes
 Materialien
 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944)

1.8.1944: Behördengänge und Amtsbesuche

Gestern nachmittag zwischen einigen Regengüssen mit Lore Bücher hervorgeholt, aber fast alle naß, ich werde sie wegwerfen müssen. Ab 18 Uhr hatte ich eine Magenverstimmung, die um 22 Uhr zum Erbrechen führte. Hatte den ganzen Tag außer der Erbsensuppe nichts gegessen. Schlechte Nacht gehabt und heute Kopfschmerzen. Um 4 Uhr Nachts ist Käthe gekommen. Sie hatte in Leipzig den ersten Anschluß nicht erreicht, mußte über Hamburg fahren. Wir mußten erst ins Haus hinüber und aus dem Keller die Bettwäsche holen. Um 6.30 Uhr mußte ich aufstehen, wusch und rasierte mich "drüben", machte mir einen Tee (Wasser einige Wochen alt!) und ging um 7.30 Uhr mit einem in der Nähe wohnenden Bauunternehmer zum Rathaus. Dieser will sich für die Aufräumung und den Wiederaufbau unseres Hauses einsetzen. Ich war bis 11 Uhr im Rathaus, wurde von einer Stelle zur anderen geschickt, alles umsonst.

Die Transportgenehmigung für die Möbel ist erst zu bekommen, wenn eine baupolizeiliche Bestätigung vorliegt, daß die Wohnung unbewohnbar ist. Diese Bestätigung kann noch lange auf sich warten lassen, angemeldet habe ich es, es soll 10 Tage dauern. Eine Hilfsmannschaft zum Abseilen der Möbel ist nicht zu bekommen. Es sei noch jede Hilfeleistung für Privatpersonen verboten. Dann bin ich noch, mich mühsam schleppend, zum Polizeipräsidium, wo eine Wehrmachtsstelle für Hilfeleistungen besteht. Dort wußte man sogar noch, daß ich neulich (?) einige Soldaten bekommen hatte. Ich konnte nicht gut sagen, wie wenig die geleistet hatten. So was wird unter Umständen elend übel genommen. Ich machte nur geltend, daß heute Nacht die gefährliche Stelle des Treppenhauses eingestürzt sei und wir nicht mehr hinauf und herunter können. "Mann, nehmen Sie doch Vernunft an!" wurde ich angefahren. "Es werden nur wertvolle Sachen geborgen", hieß es dann wieder. Ich wies auf die paar Tausend wissenschaftliche Bücher hin. Ein helles Auflachen war die Antwort. Dann fragte ich: "Aber was gilt dann bei Ihnen als wertvoll?" "Auf solche Spitzfindigkeiten können wir uns nicht einlassen." "Wertvoll sind jetzt Wasser, Strom, Gas." Es war ein richtiges Aneinandervorbeireden. Schließlich versprach er, heute Nachmittag einen Mann zu schicken, der die Schadensstelle "besichtigen" würde, ob ich würdig sei, eine Hilfe zu bekommen.

Mittags machte mir Käthe in der Wohnung drei Eier auf dem Spirituskocher und ich nochmals Tee. Käthe und Lore hatten in der NSV-Stelle gegessen, sehr schlecht, wieder Erbsensuppe, schlechter und saurer als gestern. Und dafür muß man die kostbaren Marken abgeben!

Und diese Nachrichten von der russischen Front! Jetzt scheint bald Warschau genommen zu werden. Eine ganze Woche lang habe ich kaum Zeitung gelesen, der ganze Stoß liegt noch da.

Abends haben wir kein Licht. Was Nachmittag und Abends war, habe ich jetzt (3 Uhr früh) schon vergessen. Jedenfalls arbeiten wir beständig in der Wohnung. Wir kommen immer erst gegen 21 Uhr noch später in unser Zimmer zurück und schlafen dann gleich.

In dieser Nacht haben wir zu dritt in dem Zimmer geschlafen. Da alles mit aufgestapelten Sachen bedeckt ist (Kleider, Decken, Koffer, Rucksäcke, Bettstücke usw.) und kein Licht vorhanden ist, muß man abends alles (bis aufs Taschenmesser) sehr sorgfältig für den Fall eines nächtlichen Alarmes ordnen, um im Dunkeln sofort alles griffbereit zu haben.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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